Barrieren der digitalen Co-Creation in Estland und wie sie überwunden werden können

Rebecca Strauch, Anna Mayer und Corine Fontijn

Kurzzusammenfassung

Der vorliegende Beitrag stellt eine Zusammenfassung der Barrieren zur Schaffung von Angeboten der öffentlichen Verwaltung mithilfe der digitalen Co-Creation in Estland dar. Die Barrieren umfassen die Einstellung der Stakeholder zur der Verantwortungsaufteilung, die Qualität der Beziehungen zwischen den Stakeholdern, hierarchische Erwartungen an die Regierung und Aspekte wie Zeit und Finanzen. Insgesamt wurden zehn Expert*innen aus Wissenschaft, Verwaltung und aus dem NGO-Sektor interviewt. Im Anschluss folgte eine Auswertung der Interviews, deren Ergebnis zum aktuellen Stand der Fachliteratur über die digitale Co-Creation übereinstimmt.  

Einbettung in den Kontext

Nahezu jedes Land weltweit hat eine eigene e-governance Initiative welche auf e-government und e-democracy aufbaut. Im Kontext des demographischen Wandels, vom sinkenden Budget der öffentlichen Verwaltung und hin zu hohen Erwartungen der Bevölkerung an die Verwaltung, wächst das Interesse der Regierungen an einer bürger*innenorientierten Verwaltung (Mager, 2016). Das Konzept der public co-creation umfasst den Einbezug von Bürger*innen bei der Schaffung und dem Design von Angeboten der öffentlichen Verwaltung. In der Fachliteratur wird dieser Ansatz intensiv diskutiert, allerdings gibt es Forschungslücken im Hinblick auf den tatsächlichen Einfluss beim Einsatz von digitalen Technologien (Lember, 2018). Digital co-creation bezeichnet den Prozess einer Neugestaltung zwischen Verwaltung und Bürger*innen, wenn im Zuge dessen Informations- und Kommunikationstechnologien verwendet werden. Ferner wird in den existierenden Veröffentlichungen zur digital co-creation die Notwendigkeit einer integrativen Perspektive, welche Gesellschaft und Staat als Ganzes sieht, konstatiert (Dunleavy & Margetts, 2010; Mergel & Kattel, 2017). 

Die Regierung von Estland steht, ähnlich wie andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union, vor sozialen und administrativen Herausforderungen. Im Zentrum der vorliegenden Fallstudie handelt es sich um Estland, weil es eine gut entwickelte digitale Verwaltung hat. Zahlreiche internationale Rankings und Berichte sind hierfür Belege (UN E-Government Survey 2018; eGovernment benchmark 2018 report). Am Beispiel von Estland sollen deshalb Kräfte und Barrieren der digitalen co-creation identifiziert werden. Ferner wird analysiert, wie die identifizierten Barrieren möglicherweise überwunden werden können. 

Methodik

Um die Barrieren der (digitalen) co-creation in Estland zu identifizieren und zu analysieren wie diese überwunden werden können, wird die Methodik der qualitativen Inhaltsanalyse angewandt (Mayring, 2014). Nach eingehender Literaturrecherche und dem wissenschaftlichen Austausch zur Methodik, werden zehn Stakeholder aus verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, lokalen und nationalen Regierungen sowie von NGOs befragt. Nach der Transkription der einzelnen Interviews werden die Transkripte jeweils von zwei verschiedenen Codierern unabhängig voneinander codiert. Als inhaltlich-analytische Einheit wurde der Wortlaut "Barrieren von co-creation" gewählt.

Ergebnisse der Arbeit

Die gesammelten Ergebnisse unserer Interviews ermöglichen es, Hindernisse für die digitale co-creation zu identifizieren. Wie die Barrieren überwunden werden können, wurde innerhalb von offenen Fragen formuliert, sodass Vorschläge eigenständig möglich waren. Die wichtigsten Barrieren werden im Folgenden aufgelistet. Die Reihenfolge der Auflistung richtet sich danach, wie oft sie erwähnt wurden.

Die Einstellung der Stakeholder

Die an der digitalen co-creation beteiligten Interessengruppen wollen nicht immer die Verantwortung in diesem Bereich teilen. Konservativismus, Routine und die daraus resultierende Erwartungshaltung gegenüber der Regierung sowie die Einstellung der Zivilgesellschaft und der Bürger*innen können eine fruchtbare Zusammenarbeit hinsichtlich digitaler co-creation verhindern. Allerdings haben wir Indikatoren dafür gefunden, dass digitale Plattformen Co-Creation erleichtern, insofern diese Vorteile für alle Interessengruppen mit sich ziehen.  

Beziehung zwischen den Stakeholdern

Alle betroffenen Interessengruppen sollten in den Prozess der Co-Creation miteinbezogen werden. In der Praxis haben die Beteiligten jedoch Schwierigkeiten, sich gegenseitig zu erreichen, und die meisten Initiativen stammen von privaten Akteuren. Der Hauptgrund dafür ist, dass für einen ordnungsgemäßen Austausch ein Echtzeit-Feedback der Interessengruppen erforderlich ist, um Ideen zu kommunizieren und zu entwickeln. Digitale Plattformen würden ein solches Echtzeit-Feedback zwischen verschiedenen Akteuren ermöglichen. 

Hierarchische Strukturen / top-down Regierung

Die an einem Problem beteiligten Stakeholder (private Akteur*innen, Zivilgesellschaft, Bürger*innen) wollen oft keine Top-Down-Regierung, sondern eine partizipative Regierungsführung. Sie erwarten aber dennoch die Errichtung und Umsetzung von Gesetzen seitens der Regierung. Wir beobachten, dass sich Co-Creation weitgehend in lokalen Umgebungen entwickelt. Des Weiteren stellen wir fest, dass digitalisierte Co-Creation derzeit vor allem durch nicht-hierarchische und greifbare Settings ermöglicht wird.

Weitere Barrieren

Darüber hinaus haben wir herausgefunden, dass Zeit ein ausschlaggebender Faktor ist: der Aufbau von digitalen Strukturen zu co-creation steht oft im Widerspruch zu finanziellem und zeitlichem Druck, insbesondere seitens der Regierung. Des Weiteren kommt es auf die finanziellen Umstände an: es wird diskutiert, ob die Teilnahme an (digitaler) Co-Creation durch finanzielle Anreize unterstützt werden sollte oder nicht. Schließlich blockiert der begrenzte Datenaustausch, insbesondere zwischen verschiedenen Regierungsstellen, die Verfügbarkeit von Qualitätsdaten, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten.

Die Ergebnisse zeigen, dass Barrieren von Co-Creation vor allem die Beziehung zwischen den Interessengruppen und ihrer Einstellung zu Problemen in der Gesellschaft betreffen. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass der digitale Aspekt eine treibende Kraft bei der Überwindung von Barrieren von Co-Creation sein könnte.

Theoretische & praktische Implikationen

Die Resultate unserer Studie bestätigen die vorangegangen Erwartungen hinsichtlich der Barrieren von Co-Creation. Sie zeigen, dass fortschrittliche Denkweisen über Verantwortungsteilung, positive und vertrauensvolle Beziehungen zwischen Stakeholdern, sowie eine umfassende Datenpräsentation für eine erfolgreiche digitale co-creation wichtig sind.

Im Hinblick auf Umsetzbarkeit ist digitalisierte Co-Creation meist auf größerer Gemeindeebene und auf nationaler Ebene sinnvoll. Auf lokaler Ebene hingegen scheinen Initiativen wie die partizipative Budgetierung mehr auf enge Netzwerke zwischen den Beteiligten als auf soziale Innovationen an sich zu setzen. 

Dennoch können die von uns genannten Barrieren genutzt werden, um das Bewusstsein für diese zu fördern. Es ist daher wichtig, dass sich alle beteiligten Stakeholder mit den potenziellen Barrieren von Co-Creation auseinandersetzen, um diese letztendlich überwinden zu können.

Zentrale Punkte

Digitalisierte Co-Creation wird noch nicht in vollem Umfang genutzt. Co-Creation hat aber das Potenzial sowohl Kosten zu sparen als auch seine demokratische Legitimität zu erhöhen (Voorberg et al., 2014). Des Weiteren kann Co-Creation zur Lösung sozialer und gesellschaftlicher Probleme beitragen. 

Mit dem Potenzial der Digitalisierung muss sich jedoch die Einstellung mehrerer Parteien ändern. Regierungsbeamte müssen ihre hierarchische Denkweise zerschlagen und bereit sein, ihre Bürger*innen die Initiative ergreifen zu lassen. Private Parteien und NGOs müssen ihr implizites Vertrauen in die Regierung zurückstellen, um so die Initiative zur Bewältigung sozialer Probleme zu ergreifen. 

Damit Bürger*innen aktiv an dem Prozess teilnehmen können, muss die Regierung sicherstellen, dass qualitativ hochwertige Daten verfügbar sind. Dieser Datenaustausch ist bisher durch die "Silostruktur" zur Datenspeicherung zwischen den einzelnen Ministerien beschränkt möglich. Die Bürger*innen wiederum müssen lernen mit Rohdaten umzugehen. Darüber hinaus müssen sie dazu in der Lage sein, Echtzeit-Feedback über verarbeitete Daten zu co-creation zu geben.

Über Rebecca Strauch:

Rebecca Strauch hat 2019 den Master im Rahmen des Double Degree Programms an der Universität Konstanz und der University of Essex in Politikwissenschaften abgeschlossen. Zurzeit strebt sie einen PhD in der Vergleichenden Autokratienforschung mit Fokus auf Informations- und Kommunikationstechnologien an der Universität Konstanz an.

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Über Anna Mayer:

Anna Mayer studierte Politikwissenschaft an der Universität Regensburg und hat sich im Rahmen ihrer Masterarbeit (Politikwissenschaft, Universität Wien) mit dem Angebot der e-residency von der estnischen Regierung auseinandergesetzt. Während sie aktuell ihr Forschungsinteresse für Technologie und Gesellschaft vertieft, studiert Anna im Zweitstudium Wirtschaftsinformatik.

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Über Corine Fontijn:

Corine Fontijn studierte Liberal Arts & Sciences an der University College Roosevelt. Sie hat 2019 den Master im Rahmen des Double Degree Programms an der Universität Konstanz und der Universität Utrecht abgeschlossen.