Der Einsatz von Innovationslaboren in der öffentlichen Verwaltung

Ein Artikel von M. A. Nathalie Haug und Professor Dr. Ines Mergel

Kurzzusammenfassung

Die Studie geht der Frage nach welche äußeren Faktoren gegeben sein müssen, damit die öffentliche Verwaltung Innovationslabore zielführend einsetzen kann. Durch qualitative Datenanalyse von 23 semi-strukturierten Interviews konnten insgesamt sieben Faktoren identifiziert werden, die für den Erfolg von Innovationslaboren maßgeblich sind. Vier der sieben Faktoren beziehen sich auf das Organisationsumfeld: Unterstützung von Vorgesetzten, die Struktur der Organisation, die Autonomie des Innovationslabors sowie dessen Ressourcen. Die anderen drei Faktoren beziehen sich auf das Innovationslabor direkt, hier stehen das Handeln der Führungskraft, die Einstellung und Motivation der Teilnehmenden und die räumliche Gestaltung des Innovationslabors im Vordergrund.

Neben den notwendigen Erfolgsfaktoren ist das zweite Ergebnis der Studie, welchen Mehrwert die Innovationslabore für die öffentliche Verwaltung schaffen. Hier hat sich gezeigt, dass durch das Entwickeln von Prototypen und die Umgestaltung bestehender Dienstleistungsprozesse einen Mehrwert für die öffentliche Verwaltung und deren Nutznießer geschaffen wird. Den Mitarbeitenden der Verwaltung helfen die Innovationslabore sich Kompetenzen anzueignen, z.B. über neue Arbeitsmethoden oder neue Technologien. Zudem werden Netzwerke geschaffen die den Austausch von Wissen und Erfahrungen fördern. Die Zivilgesellschaft und Bürger*innen profitieren von verbesserten Dienstleistungen.

Einbettung in den Kontext

Unter Innovationslaboren versteht man Organisationen, die sich hauptsächlich mit der Entwicklung von Innovation befassen. Diese sind als kollaborative Plattformen zu verstehen. Dort kommen Teilnehmende mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Kompetenzen zusammen, probieren neue Dienstleistungen oder Technologien aus und entwickeln diese weiter. Der Vorteil dieser offenen Zusammenarbeit besteht darin, dass das Endprodukt von der Diversität der Teilnehmenden profitiert, da unterschiedliche Sichtweisen im Entwicklungsprozess berücksichtigt werden. In der Privatwirtschaft werden Innovationslabore eingesetzt, um neue Dienstleistungen zu entwickeln sowie den Einsatz von neuen Technologien zu erproben (z.B. Sensoren für Smart Living). Auch in der öffentlichen Verwaltung werden Innovationslabore zunehmende eingesetzt, da die fortschreitende Digitalisierung Gelegenheiten für die Neu- und Umgestaltung schon existierender Dienstleistungen bietet (Gascó, 2017). Hier können Innovationslabore helfen, in einem geschützten Rahmen mit einer Vielzahl von Lösungen zu experimentieren die nach und nach in einem größeren Rahmen implementiert werden können (Tõnurist, Kattel, & Lember, 2017).

Die Besonderheit bei Innovationslaboren in der öffentlichen Verwaltung ist, dass diese in der Regel sehr eng an diejenige Bundes-, Landes- oder Kommunalbehörde gebunden sind, die das Labor gegründet hat (McGann, Wells, & Blomkamp, 2019; Timeus & Gascó, 2018). Im Gegensatz dazu sind Innovationslabore im Privatsektor unabhängige Organisationen, die als Dienstleister auftreten. Durch diese Konstellation ergeben sich für Innovationslabore in der öffentlichen Verwaltung Besonderheiten, die den Erfolg des Labors beeinflussen können.

Neben den Faktoren, die für einen erfolgreichen Einsatz von Innovationslaboren erforderlich sind, ist es wichtig zu verstehen, welchen Mehrwert das Innovationslabor für die öffentliche Verwaltung schafft. Hierbei konzentriert sich die bisherige Forschung auf das Innovationspotential von Innovationslaboren, z.B. die Entstehung neuer Dienstleistungen (Gascó, 2017). Problematisch ist bei dieser innovationszentrierten Sichtweise, dass positive Nebeneffekte impliziter oder niederschwelliger Natur nicht oder nur teilweise erfasst werden. Um diesen Mehrwert zu erfassen wurde die „Public Value“ – Theorie (Moore, 1995; Twizeyimana & Andersson, 2019) herangezogen, die eine Vielzahl von Mehrwerten beschreibt, die durch die Interaktion zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft sowie anderen Nutzergruppen entstehen.

Methodik

Insgesamt wurden drei Innovationslabore untersucht: GovLab Austria, GovLab Arnsberg und das Verschwörhaus. Tabelle 1 beinhaltet eine Übersicht über die einzelnen Labore, ihre Zielsetzungen, Organisationsformen und verwendeten Methoden.


Insgesamt wurden 23 Interviews mit den Beteiligten aus den Innovationslaboren geführt. Diese umfassen auf Seite der Verwaltung Führungskräfte sowie Angestellte, die mit der Implementation der Innovationslabore vertraut sind sowie Nutzer*innen und Freiwillige aus der Zivilgesellschaft. So konnten unterschiedliche Sichtweisen berücksichtigt werden. Die Interviews mit den Beteiligten wurden mittels eines zweischrittigen qualitativen Datenanalyseverfahren ausgewertet (Miles, Huberman, & Saldaña, 2014). Dazu wurden zuerst aus der wissenschaftlichen Literatur zu Reallaboren Kategorien abgeleitet, die zweitens ergänzt und verfeinert wurden. Im folgenden Ergebnisteil werden die Faktoren und Mehrwerte näher besprochen, die bei allen oder bei zwei von drei Innovationslaboren vorhanden waren.

Ergebnisse

Einflussfaktoren auf organisationaler Ebene

Auf der organisationalen Ebene wurden insgesamt vier Faktoren identifiziert, die Partizipationsprozesse in Innovationslaboren beeinflussen können. Die Unterstützung aus der Führungsebene wirkt auf mehrere Arten auf die Prozesse innerhalb der Innovationslabore ein. Erstens ermöglichte sie kreatives Denken, da die Entscheidungsfreiheit erhöht wurde und Lösungen außerhalb der Routinen der öffentlichen Verwaltung erdacht werden konnten. Zweiten äußerte sich die Unterstützung durch fehlende Zielvorgaben, so konnten die Teilnehmenden ohne externen Druck unterschiedliche Lösungswege ausprobieren. Drittes erhöht die Unterstützung von Führungskräften die Legitimation des Innovationslabors, da so die Ergebnisse leichter in der gesamten Verwaltung implementiert werden konnten.

Die Autonomie der Innovationslabore meint das Ausmaß, in dem die Teilnehmenden selbstständig Entscheidungen treffen können. Die Autonomie beeinflusst vor allem die Entscheidungsfindung innerhalb der Innovationslabore. Wenn ein Innovationslabor wenig Entscheidungsfreiheit hat kommt es langsamer zu umsetzbaren Ergebnissen, da die Ergebnisse mit der Organisation abgestimmt werden müssen. Eine hohe Autonomie kann erreicht werden in dem die Abstimmungswege zwischen Innovationslabor und Entscheidungsträgern innerhalb der Organisation kurzgehalten werden. So werden Ergebnisse, die Änderungen in Routinen oder Dienstleistungserbringungsprozessen bedeuten, nicht verwässert und können beständig weiterentwickelt werden.

Die hierarchische Organisationsstruktur beeinflusst vor allem die Teilnahme der Verwaltungsmitarbeitenden im Innovationslabor. Es ist schwer, das Innovationslabor in der gesamten Verwaltung bekannt zu machen, da der Austausch zwischen Organisationen durch organisationale Silos erschwert wird. Zudem beeinflussen hierarchische Strukturen auch das kreative Denken innerhalb des Innovationslabors, da die Teilnehmenden die erarbeiteten Lösungen auf die interne Umsetzbarkeit überprüften und auf inhaltliche Themen weniger eingingen. Außerdem ist der Einfluss der Organisationsstruktur eng mit der Autonomie des Innovationslabors verknüpft. Umso autonomer ein Reallabor agieren kann, desto weniger stark beeinflusst die Organisationsstruktur die Prozesse innerhalb des Innovationslabors.

Zuletzt spielen die zu Verfügung gestellten Ressourcen eine Rolle. Die wichtigsten Ressourcen eines Reallabors sind finanzielle und personelle Ressourcen, die die Handlungsfähigkeit des Reallabors sicherstellen. Welche und wie viele Ressourcen benötigt werden hängt von der Zielsetzung des Labors ab. Interessant ist, dass fehlende finanzielle Ressourcen nicht zwangsweise die kreativen Prozesse innerhalb des Reallabors beeinflussen, stattdessen zeigte sich im Reallabor GovLab Austria, dass die zu Beginn fehlenden finanziellen Mittel zu kreativeren Lösungen führten.

Einflussfaktoren auf Laborebene

Auf Laborebene wurden drei Faktoren identifiziert, die die Prozesse innerhalb des Reallabors beeinflussen: die Führungskraft, die Einstellung und Motivation der Teilnehmenden sowie die räumliche Gestaltung des Labors.

Die Führungskraft hat zwei wichtige Aufgaben inne. Erstens ist die Führungskraft dafür verantwortlich, dass die Prozesse innerhalb des Reallabors reibungslos ablaufen. Dazu gehört beispielsweise die Beschaffung von Material oder das Moderieren von Workshops. Zweitens hat die Führungskraft die Aufgabe, die Vorgehensweisen des Labors sowie dessen Ergebnisse mit der Verwaltung abzustimmen und in der Organisation zu verbreiten. So trägt die Führungskraft dazu bei, dass die Ergebnisse langfristig in der Organisation implementiert werden.

Die Einstellung der Teilnehmenden sowie deren intrinsische Motivation spielt ebenfalls eine Rolle für den Erfolg der Reallabore. Ein risikoaverses Mindset kann die Entwicklung und Implementierung neuer Ideen hemmen. Die intrinsische Motivation war vor allem bei den Teilnehmenden aus der Zivilgesellschaft erkennbar. Vor allem im Verschwörhaus nahmen Freiwillige teil, die sich schon gegenseitig kannten und auf zwischenmenschlicher Ebene gerne zusammenarbeiteten. So wurde der Grundstein für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit wenig Konflikten gelegt.

Auch die räumliche Gestaltung des Reallabors trägt zu dessen Erfolg bei. Hier ist es wichtig, dass das Reallabor sich von der restlichen Verwaltung abhebt. Dazu gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Zum einen kann ein separates Gebäude gemietet werden, dass nicht Teil der Räumlichkeiten der Verwaltung ist. Zum anderen kann durch eine bewusste Gestaltung eine visuelle Trennung erreicht werden. Beispielsweise nutzte das GovLab Arnsberg das Möbelhaus Ikea, um die Räumlichkeiten einzurichten statt auf die zentrale Beschaffung des Regierungspräsidiums zurückzugreifen. Durch die visuelle und physische Neugestaltung des Reallabors entstand eine kreative und entspannte Arbeitsatmosphäre.

Mehrwerte durch Reallabore für Verwaltung und Bürger*innen

Durch den Einsatz von Reallaboren kann die öffentliche Verwaltung Mehrwert für sich selbst sowie die Zivilgesellschaft schaffen. Die Mehrwerte kommen dabei auf unterschiedlichen Wegen zustande.

Durch den Einsatz von Reallaboren kann die öffentliche Verwaltung Prototypen für neue Dienstleistungen entwickeln oder bestehende Dienstleistungen verbessern, davon profitieren vor allem Bürger*innen und andere Nutzer*innen. Darüber hinaus profitiert auch die öffentliche Verwaltung davon, da der Einsatz von Prototypen die Entscheidungsfindung in der Verwaltung beeinflusst sowie auch die Evaluation von bestehenden Dienstleistungen möglich macht. Als Beispiel ist hier die Entwicklung eines Chatbots im GovLab Arnsberg zu nennen. Durch den Chatbot konnte das Regierungspräsidium nachvollziehen, wie Bürger*innen die bestehende Dienstleistung nutzten und konnten dadurch Möglichkeiten für die Umgestaltung der Website identifizieren.

Neben den Mehrwerten, die vor allem durch die „handfesten“ Ergebnisse entstehen, die in den Reallaboren erarbeitet werden, führt die auch die Teilnahme am Reallabor selbst zu Mehrwerten für die Verwaltung. Beispielsweise lernten Verwaltungsmitarbeitende andere Mitarbeitende mit ähnlichen Interessen und Fähigkeiten kennen, die sich durch die hierarchische Struktur sonst nicht getroffen hätten. So wurden organisationale Silos abgebaut, da die neuen Kontakte auch über das Reallabor hinweg bestehen blieben und der Austausch von Wissen und Erfahrungen erleichtert wurde.

Auch für die Bürger*innen selbst entsteht ein Mehrwert durch die Teilnahme am Reallabor: sie können mit der Verwaltung in Kontakt treten und gemeinsam an Lösungen arbeiten. Beispielsweise ermöglicht das Verschwörhaus Bürger*innen mit Werkzeugen und Technologien zu experimentieren, die schwer verfügbar sind oder sich die Anschaffung für einen privaten Haushalt nicht lohnt. So entstehen Gelegenheiten für Bürger*innen und Mitarbeitenden der Verwaltung sich mit neuen Technologien vertraut zu machen und digitale Kompetenzen zu erwerben.

Theoretische & praktische Implikationen

Implikationen für die Theorie

Für die Theorie zu Reallaboren in der öffentlichen Verwaltung ergibt sich, dass es eine Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren den Erfolg eines Reallabors beeinflussen kann. Zukünftige Forschung kann herausfinden, inwiefern die identifizierten Faktoren auch auf Reallaboren zutreffen, die in einem anderen bürokratischen Kontext verankert sind.

Implikationen für die Praxis

Für Entscheidungsträger aus der öffentlichen Verwaltung, die ein Reallabor einrichten wollen, ergeben sich aus den Ergebnissen der Studie mehrere Handlungsempfehlungen. Erstens ist es ratsam, dass vor der Gründung des Reallabors die Unterstützung der Führungskraft, vor allem aus den oberen Hierarchieebenen, sichergestellt wird. So erhöht sich die Legitimation des Reallabors innerhalb der Organisation und die Beschaffung von Ressourcen wird vereinfacht. Zweitens sollte auch die Führungskraft, die für das Reallabor verantwortlich ist, sorgfältig ausgewählt werden. Hier sollte man darauf achten, dass die Führungskraft aufgeschlossen gegenüber neuen Arbeitsmethoden (Design Thinking, agile Arbeitsweisen) ist und diese im Reallabor einsetzen kann. Zudem sollte sich die Führungskraft mit den Zielen des Reallabors identifizieren und in die Organisation kommunizieren. So wird das Reallabor innerhalb der Verwaltung bekannter gemacht und Widerstände bzw. Skepsis werden abgebaut. Drittens spielt die Gestaltung der Räumlichkeit eine Rolle. Das Labor sollte sich räumlich und visuell von der übrigen Organisation abgrenzen, so wird eine kreative Arbeitsatmosphäre begünstigt.

Zitierte Publikationen

Gascó, M. (2017). Living labs: Implementing open innovation in the public sector. Government Information Quarterly, 34(1), 90-98.

McGann, M., Wells, T., & Blomkamp, E. (2019). Innovation labs and co-production in public problem solving. Public Management Review, 1-20.

Miles, M. B., Huberman, A. M., & Saldaña, J. (2014). Fundamentals of Qualitative Data Analysis. In Qualitative data analysis: A methods sourcebook. (pp. 69-104). Thousand Oaks, CA: Sage.

Moore, M. H. (1995). Creating public value: Strategic management in government: Harvard University Press.

Timeus, K., & Gascó, M. (2018). Increasing innovation capacity in city governments: Do innovation labs make a difference? Journal of urban affairs, 40(7), 992-1008.

Tõnurist, P., Kattel, R., & Lember, V. (2017). Innovation labs in the public sector: what they are and what they do? Public Management Review, 19(10), 1455-1479.

Twizeyimana, J. D., & Andersson, A. (2019). The public value of E-Government – A literature review. Government Information Quarterly, 36(2), 167-178. doi:https://doi.org/10.1016/j.giq.2019.01.001

 

Prof. Dr. Ines Mergel

Professor Dr. Ines Mergel ist ordentliche Professorin für Öffentliche Verwaltung im Fachbereich Politik und Öffentliche Verwaltung an der Universität Konstanz, Deutschland.

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Nathalie Haug

Nathalie Haug ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Digital Governance Lab der Universität Konstanz. Ihre Forschungsinteressen liegen im bereich der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung.

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